Friedensnobelpreis 1962: Linus Pauling

Friedensnobelpreis 1962: Linus Pauling
Friedensnobelpreis 1962: Linus Pauling
 
Nach dem Nobelpreis für Chemie (1954) erhielt der amerikanische Naturwissenschaftler für seinen erfolgreichen Feldzug gegen oberirdische Kernwaffenversuche auch den Friedensnobelpreis.
 
 
Linus Carl Pauling, * Portland (Oregon) 28. 2. 1901, ✝ Big Sur (Kalifornien) 19. 8. 1994; 1941-46 wissenschaftlicher Berater der US-National Defense Research Commission sowie des Research Board for National Security, 1946-50 Mitglied des Emergency Committee of Atomic Scientists, 1954 Nobelpreis für Chemie, ab 1969 an der Stanford University, 1973 Gründer des Linus Pauling Institute of Science and Medicine.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die chemischen und molekularbiologischen Probleme, die der gleich zweimal mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Naturwissenschaftler seit Anfang der 1920er-Jahre untersuchte, klingen für den Laien nach praxisferner Theorie. Linus Pauling beschäftigte sich unter anderem mit den Valenzwinkeln in organischen Verbindungen und der Röntgenstrukturanalyse oder dem Aufbau natürlicher und denaturierter Proteine. Die Erkenntnisse, die er dabei gewann, haben aber sehr wohl praktische Bedeutung, nicht zuletzt in der Waffentechnik. So entwickelte er während des Zweiten Weltkriegs neuartige Raketentreibstoffe und ersann ein Warnsystem für Sauerstoffmangel, das beispielsweise für die Besatzungen von Unterseebooten und Flugzeugen lebensrettend sein konnte.
 
Nach dem Krieg kehrte Linus Pauling in seinen zivilen Beruf zurück, wandte sich scharf gegen die Entwicklung neuer Kriegswaffen und wurde zum Anhänger der Friedensbewegung. In dieser plötzlichen Wende spiegelt sich wie bei anderen Naturwissenschaftlern (etwa Hans Albrecht Bethe, Physiknobelpreis 1967, oder Harold Clayton Urey, Chemienobelpreis 1934), die während des Kriegs in US-Forschungslabors neuartige Waffen entwickelten, vor allem der Schock nach der Explosion der beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki wider. Wohl am größten war das Entsetzen bei Albert Einstein (Physiknobelpreis 1921), sein Leben lang ein überzeugter Pazifist, der im August 1939 zusammen mit den aus Deutschland emigrierten Wissenschaftlern Leo Szilard und Eugene Paul Wigner aus Furcht vor einem deutschen Angriff in einem Brief an US-Präsident Franklin Delanoe Roosevelt den Anstoß zur Entwicklung der Atombombe gegeben hatte.
 
 Nie wieder Krieg!
 
Unter dem Eindruck der atomaren Katastrophe gründete Albert Einstein 1946 das Emergency Committee of Atomic Scientists und appellierte an die Vernunft: »Jetzt ist die Zeit gekommen, den Krieg endgültig zu verdammen. Es ist nicht mehr sinnvoll, internationale Konflikte mit militärischen Mitteln lösen zu wollen. Nun, da Atombomben, wie jene, die über Hiroshima und Nagasaki detonierten, eine ganze Stadt zerstören und sämtliche Einwohner umbringen können [...], müssen die Menschen ihren Verstand benutzen, um den Streit zwischen Nationen zu schlichten
 
Linus Pauling gehörte zu den ersten Wissenschaftlern, die sich diesem Notstandskomitee renommierter Atomforscher anschlossen. Viel vermochte die Vereinigung allerdings nicht zu bewirken; ihre zunächst acht, später dann einige dutzend Mitglieder hatten zwar die immensen Gefahren der Atomwaffen begriffen, besaßen jedoch nicht den politischen Einfluss, die Entwicklung zu beenden. Im Gegenteil: Die Techniker der US-Atomenergiekommission ersannen neue Kernwaffen mit immer größerer Zerstörungskraft. Zum Beispiel die Wasserstoffbombe, eine Verschmelzungswaffe, die im November 1952 bei dem Test im Pazifik einen Feuerball von mehreren Kilometern Durchmesser erzeugte. Die Amerikaner waren allerdigs nicht die Einzigen, die solche Waffen testeten; bereits im August 1953 (möglicherweise auch schon früher) brachte die Sowjetunion eine eigene Wasserstoffbombe zur Detonation. Das Wettrüsten der Supermächte begann.
 
Das Notstandskomitee resignierte bereits 1950 und löste sich auf. Linus Pauling führte den Feldzug gegen die Kernwaffen mit der für ihn typischen Beharrlichkeit und Bereitschaft zur Konfrontation weiter. 1955 brachte er beim traditionellen Nobelpreisträger-Treffen am Bodensee über 50 Nobelpreisträger zur Unterzeichnung der »Mainau-Deklaration« gegen die atomare Rüstung. Er gewann dabei viele Freunde, machte sich aber auch viele Feinde. In den USA wurde der Friedenskämpfer bezichtigt, insgeheim die Interessen der Sowjetunion zu vertreten. Mehrmals musste sich Pauling vor Untersuchungsausschüssen des US-Senats rechtfertigen und Schikanen, wie die Einziehung seines Reisepasses, erdulden. Andererseits wurde er aber gerade durch solche Versuche, einen unbequemen Kritiker mundtot zu machen, in der Öffentlichkeit bekannt und gewann so die Anhänger, die er zumindest für einen Teilerfolg im Kampf gegen die Kernwaffen dringend benötigte.
 
 Gefährlicher Regen
 
Die erste amerikanische Atombombe detonierte am 16. Juli 1945 nahe der Stadt Los Alamos, wo ab dem Jahr 1942 in geheimen Labors an der Entwicklung der Bombe gearbeitet worden war. Seither sind weltweit schätzungsweise 3000 Kernwaffentests durchgeführt worden, ausschließlich in fast menschenleeren Gegenden der Erde wie Wüsten, Steppen oder einsamen ozeanischen Inseln, denn die Verantwortlichen waren sich der Gefahren solcher Tests für die Bevölkerung der betreffenden Gebiete durchaus bewusst. Dass sich die Verseuchung durch radioaktive Substanzen nicht nur auf das engere Testgebiet beschränkt, sondern nach stärkeren Detonationen mitunter globale Ausmaße erreicht, stellte sich erst im Verlauf der Testserien heraus — als es bereits zu spät war. Die radioaktiven Schwaden, die beispielsweise im Februar 1960 nach der Detonation einer vergleichsweise schwachen französischen Atombombe in der Sahara aufstiegen, umkreisten den gesamten Erdball in etwa zwei Wochen und brachten vielerorts mit gefährlichen langlebigen Spaltprodukten wie Strontium 90, Cäsium 137 oder Plutonium 239 verseuchten radioaktiven Regen. Dem Chemiker und Molekularbiologen Linus Pauling waren die häufigsten Folgen der Strahlenbelastung, wie Leukämie, Lungen- und Schilddrüsenkrebs und Missbildungen durch Veränderungen der Erbanlagen, bestens vertraut. Er setzte sich daher seit Mitte der 1950er-Jahre nach Kräften für ein Verbot oberirdischer Kernwaffentests ein und erzielte schließlich einen Erfolg, der mit dem Friedensnobelpreis honoriert wurde.
 
Der Preis für das Jahr 1962 wurde dem Naturwissenschaftler im Dezember 1963 verliehen. Im Herbst dieses Jahres war der zwischen den USA, Großbritannien und der früheren Sowjetunion geschlossene Vertrag über ein Verbot von Kernwaffenversuchen auf dem Erdboden, in der Atmosphäre und im Weltraum in Kraft getreten. Linus Pauling hatte sich nach Jahren endlich durchgesetzt und zahlreiche Wissenschaftler für seinen Feldzug gewonnen. Mehr als 11 000 Namen standen auf der Liste, die er im Januar 1958 dem damaligen UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld überreichte: »Wir, die Wissenschaftler, deren Namen unten aufgeführt sind, fordern ein internationales Abkommen, durch das Kernwaffentests unverzüglich beendet werden«.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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